|  | Clara an
                                    Nathanael Wahr ist es, daß Du recht lange mir
                                    nicht geschrieben hast,* aber dennoch glaube
                                    ich, daß Du mich in Sinn und Gedanken
                                    trägst. Denn meiner gedachtest Du wohl
                                    recht lebhaft, als Du Deinen letzten Brief
                                    an Bruder Lothar absenden wolltest und die
                                    Aufschrift, statt an ihn an mich richtetest.
                                    Freudig erbrach ich den Brief und wurde den
                                    Irrtum erst bei den Worten inne: »Ach
                                    mein herzlieber Lothar!«
 - Nun hätte
                                    ich nicht weiter lesen, sondern den Brief
                                    dem Bruder geben sollen. Aber, hast Du mir
                                    auch sonst manchmal in kindischer Neckerei
                                    vorgeworfen, ich hätte solch ruhiges,
                                    weiblich besonnenes Gemüt, daß ich
                                    wie jene Frau, deren Haus der Einsturz drohte,
                                    noch vor schneller Flucht ganz geschwinde
                                    einen falschen Kniff in der Fenstergardine
                                    glattstreichen würde, so darf ich doch
                                    wohl kaum versichern, daß Deines Briefes
                                    Anfang mich tief erschütterte. Ich konnte
                                    kaum atmen, es flimmerte mir vor den Augen.
                                    - Ach, mein herzgeliebter Nathanael! was
                                    konnte so Entsetzliches in Dein Leben getreten
                                    sein! Trennung von Dir, Dich niemals wiedersehen,
                                    der Gedanke durchfuhr meine Brust wie ein
                                    glühender Dolchstich. - Ich las und
                                    las! - Deine Schilderung des widerwärtigen
                                    Coppelius ist gräßlich. Erst jetzt
                                    vernahm ich, wie Dein guter alter Vater solch
                                    entsetzlichen, gewaltsamen Todes starb. Bruder
                                    Lothar, dem ich sein Eigentum zustellte,
                                    suchte mich zu beruhigen, aber es gelang
                                    ihm schlecht. Der fatale Wetterglashändler
                                    Giuseppe Coppola verfolgte mich auf Schritt
                                    und Tritt und beinahe schäme ich mich,
                                    es zu gestehen, daß er selbst meinen
                                    gesunden, sonst so ruhigen Schlaf in allerlei
                                    wunderlichen Traumgebilden zerstören
                                    konnte. Doch bald, schon den andern Tag,
                                    hatte sich alles anders in mir gestaltet.
                                    Sei mir nur nicht böse, mein Inniggeliebter,
                                    wenn Lothar Dir etwa sagen möchte, daß ich
                                    trotz Deiner seltsamen Ahnung, Coppelius
                                    werde Dir etwas Böses antun, ganz heitern
                                    unbefangenen Sinnes bin, wie immer.
 Geradeheraus will ich es Dir nur gestehen,
                                    daß, wie ich meine, alles Entsetzliche
                                    und Schreckliche, wovon Du sprichst, nur
                                    in Deinem Innern vorging, die wahre wirkliche
                                    Außenwelt aber daran wohl wenig teilhatte.
                                    Widerwärtig genug mag der alte Coppelius
                                    gewesen sein, aber daß er Kinder haßte,
                                    das brachte in euch Kindern wahren Abscheu
                                  gegen ihn hervor.
 
 |  | Clara to Nataniel It is true that you have not written to me for a long time; but, nevertheless, I believe that I am still in your mind and thoughts. For assuredly you were thinking of me most intently when, designing to send your last letter to my brother Lothaire, you directed it to me instead of to him. I joyfully opened the letter, and did not perceive my error till I came to the words: 'Ah, my dear Lothaire.' - No, by rights I should have read no farther, but should have handed over the letter to my brother. Although you have often, in your childish teasing mood, charged me with having such a quiet, womanish, steady disposition, that, even if the house were about to fall in, I should smooth down a wrong fold in the window curtain in a most ladylike manner before I ran away, I can hardly tell you how your letter shocked me. I could scarcely breathe; the light danced before my eyes. - Ah, my dear Nathaniel, how could such a horrible thing have crossed your path ? To be parted from you, never to see you again - the thought darted through my breast like a burning dagger. I read on and on. Your description of the repulsive Coppelius is terrifying. I learned for the first time the violent manner of your good old father's death. My brother Lothaire, to whom I surrendered the letter, sought to calm me, but in vain. The fatal barometer dealer, Giuseppe Coppola, followed me at every step; and I am almost ashamed to confess that he disturbed my healthy and usually peaceful sleep with all sorts of horrible visions. Yet soon even the التالي day - I was quite changed again. Do not be offended, dearest one, if Lothaire tells you that in spite of your strange fears that Coppelius will in some manner injure you, I am in the same cheerful and unworried mood as ever.
 
 I must honestly confess that, in my opinion, all the terrible things of which you speak occurred merely in your own mind, and had little to do with the actual external world. Old Coppelius may have been repulsive enough, but his hatred of children was what really caused the abhorrence you children felt towards him.
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