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     LiteratureDer SandmannClassical LiteratureFairy TalesSongs

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Literature: Der Sandmann.

  Seite 46: Der Sandmann.



deutscher Text English text
 

Nathanael hatte rein vergessen, daß es eine Clara in der Welt gebe, die er sonst geliebt; - die Mutter - Lothar - alle waren aus seinem Gedächtnis entschwunden, er lebte nur für Olimpia, bei der er täglich stundenlang saß und von seiner Liebe, von zum Leben erglühter Sympathie, von psychischer Wahlverwandtschaft fantasierte, welches alles Olimpia mit großer Andacht anhörte. Aus dem tiefsten Grunde des Schreibpults holte Nathanael alles hervor, was er jemals geschrieben. Gedichte, Fantasien, Visionen, Romane, Erzählungen, das wurde täglich vermehrt mit allerlei ins Blaue fliegenden Sonetten, Stanzen, Kanzonen, und das alles las er der Olimpia stundenlang hintereinander vor, ohne zu ermüden. Aber auch noch nie hatte er eine solche herrliche Zuhörerin gehabt. Sie stickte und strickte nicht, sie sah nicht durchs Fenster, sie fütterte keinen Vogel, sie spielte mit keinem Schoßhündchen, mit keiner Lieblingskatze, sie drehte keine Papierschnitzchen, oder sonst etwas in der Hand, sie durfte kein Gähnen durch einen leisen erzwungenen Husten bezwingen - kurz! - stundenlang sah sie mit starrem Blick unverwandt dem Geliebten ins Auge, ohne sich zu rücken und zu bewegen und immer glühender, immer lebendiger wurde dieser Blick. Nur wenn Nathanael endlich aufstand und ihr die Hand, auch wohl den Mund küßte, sagte sie: »Ach, Ach!« - dann aber: »Gute Nacht, mein Lieber!« - »O du herrliches, du tiefes Gemüt«, rief Nathanael auf seiner Stube: »nur von dir, von dir allein werd ich ganz verstanden.«

 

Nathaniel had totally forgotten the very existence of Clara, whom he had once loved; his mother, Lothaire - all had vanished from his memory; he lived only for Olympia, with whom he sat for hours every day, uttering strange fantastical stuff about his love, about the sympathy that glowed to life, about the affinity of souls, to all of which Olympia listened with great devotion. From the very bottom of his desk he drew out all that he had ever written. Poems, fantasies, visions, romances, tales - this stock was daily increased by all sorts of extravagant sonnets, stanzas and canzoni, and he read them all tirelessly to Olympia for hours on end. Never had he known such an admirable listener. She neither embroidered nor knitted, she never looked out of the window, she fed no favourite bird, she played neither with lapdog nor pet cat, she did not twist a slip of paper or anything else in her hand, she was not obliged to suppress a yawn by a gentle forced cough. In short, she sat for hours, looking straight into her lover's eyes, without stirring, and her glance became more and more lively and animated Only when Nathaniel rose at last, and kissed her hand and her lips did she say, 'Ah, ah!' to which she added: 'Good night, dearest.' 'Oh deep, noble mind!' cried Nathaniel in his own room, 'you, you alone, dear one, fully understand me.'


Vokabular  
 

Stanzen, Kanzonen (old words) = verses, songs

 

sticken = to embroider

 

stricken = to knit

 

das Gähnen = yawning

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